Die verlorenen Kinder by Schopflocher Robert
Autor:Schopflocher, Robert [Schopflocher, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-11T16:00:00+00:00
V Das Sirenengeheul der Prensa
20
Die Vorgeschichte des »Familienorakels« Jerónimo Hernández, der sich nicht lange nach der Ankunft seiner Schwester anschickte, von den goldenen Bergen Besitz zu ergreifen, die in Argentinien auf ihn warteten.
Man schrieb das Jahr 1933. In Deutschland hatte man den Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der hatte versprochen, die Arbeitslosigkeit, die rote Gefahr und das Weltjudentum zu bekämpfen. Und außerdem machte er sich anheischig, die Volksgenossen von den Fesseln des »schmachvollen« Versailler Vertrags zu befreien. In Argentinien löste der General Justo den in Paris verstorbenen General Uriburu als Präsidenten der Republik ab, was in Europa, wo man andere Sorgen hatte, höchstens von den Aktionären der argentinischen Eisenbahnen zur Kenntnis genommen wurde. Sowie von den paar Engländern, die Schlachthöfe in diesem am Ende der Welt gelegenen Land unterhielten, in dessen Politik sie ein wenig mitmischten. Schließlich wahrte Albion die Interessen seiner Söhne.
Damals war es gewesen, dass Jerónimo Hernández auf die Brüder Renato und Antonio Di Carlo aufmerksam gemacht wurde. Einer seiner Schnüffler und Zuträger informierte ihn über die Schwierigkeiten, in denen die beiden steckten. Er mit seinen Verbindungen könne ihnen vielleicht aus der Patsche helfen, was sich für ihn bestimmt auszahlen würde.
Die Zeitungen hatten ein paar Tage zuvor über den Brand ihrer Werkstatt berichtet. Es hatte großer Anstrengungen der Feuerwehr bedurft, um den Übergriff des Brandes auf die Nachbarhäuser zu vermeiden. Eine Abbildung im Abendblatt zeigte die verwüstete Werkstatt; viel war von ihr nicht übrig geblieben. Ein schierer Zufall, dass es keine Verletzten oder gar Tote gegeben hatte.
Ricardo, der Vater der beiden damals blutjungen Burschen, hatte die Erfahrung eines Brillenmachers und ein paar primitive Maschinen aus dem Piemonte mitgebracht, als er gegen Mitte der Zwanzigerjahre nach Argentinien gekommen war. Da er für den Duce nichts übrighatte, war er damals dem Rat eines Vetters gefolgt, der es als Baumeister in diesem Land der Zukunft zu Wohlstand gebracht hatte. Mit dessen Beistand richtete er eine Werkstatt mit anfänglich drei Arbeitern ein, in der er Brillengestelle aus Zelluloid herstellte. Da er praktisch keine Konkurrenz vorfand, konnte er es sich leisten, die Produktion auf einige wenige Modelle zu beschränken, die er in drei verschiedenen Farben fabrizierte: in Schwarz, Sepia und in einer Schildpattimitation.
Kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag erlag er einem Herzschlag.
Die Witwe entschloss sich, die Werkstatt mit ihren beiden Buben weiterzuführen. Mit viel Enthusiasmus gingen sie zu Werk, leider aber mit geringer Erfahrung. So versäumte sie es, die leicht entflammbaren Zelluloidplatten, aus denen die Brillengestelle gefräst wurden, fachgerecht zu lagern. Zudem war, wie sich nach dem Desaster herausstellte, die ohnehin unzureichende Feuerversicherung wenige Tage zuvor abgelaufen. Daher hatten die Bedauernswerten einen Totalverlust erlitten. Obendrein mussten sie mit einer strafrechtlichen Vefolgung rechnen, da ihre Fahrlässigkeit offenkundig war. Wie der Zuträger Jerónimos zu berichten wusste, hatte ihnen ihr Vetter zwar einen Anwalt besorgt, doch war von diesem Paragrafenreiter nichts zu erwarten. Der Einzige, der mit einer derartig verfahrenen Angelegenheit fertig werden könne, sei er, Don Jerónimo Hernández, unser Mann vom Zeitungsstand. Von dem ließen sich kreativere Strategien erwarten, als sie einem herkömmlichen Advokaten einfallen würden.
Jerónimo
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